Rückenspannung – ein wichtiger Eckpfeiler
Für eine gute Schießtechnik ist das Schießen aus der Rückenspannung (Back Tension) mit der wichtigste Teil im Schußablauf. Hierbei übernimmt die Rückenmuskulatur während des Ziehens und vor allem beim Halten den größten Teil.
Wenn man in den Vollauszug geht wird durch die Rückenmuskulatur Spannung aufgebaut und gehalten. Dabei werden die Schulterblätter zusammengeführt. Dadurch wird der Zugarm entlastet, da die Muskulatur des Rückens den Großteil übernimmt. Durch die aufgebaute Spannung wird nach dem Lösen der Sehne die Zughand nach hinten Richtung Schulter gezogen.
Eine gute Rückenspannung ermöglicht einen gleichbleibenden langen Auszug und damit eine wiederholbare Beschleunigung des Pfeils. Ohne Rückenspannung kommt es häufiger zu Problemen beim lösen und stabilisieren.
Video-Link: https://youtu.be/vF1mi5TjWao
In diesem Video siehst du wie die Zughand sich durch die Rückenspannung nach dem Ablass nach hinten bewegt. Außerdem kann man hier schön das Nachhalten beobachten. Erst wenn der Pfeil im Ziel ist, senkt sich der Bogenarm.
Aufgaben der Rückmuskulatur – Zusammenfassung
- Zieh- und Haltefunktion
- Entlastung des Zugarms
- Tonusaufbau
- Stabilisierung
- Ermöglicht gleichbleibende Auszuglänge
- Reduzierung von Lösefehlern
„Grenzerfahrung“
Kommen wir nun zu der im Titel genannten Grenzerfahrung. Ich habe diesen Begriff gewählt, da ich immer wieder Bogenschützen beobachte die der Rückenspannung sehr hohe Priorität zuordnen. Sicherlich auch zurecht, denn wie oben schon geschrieben hat eine gute Rückenspannung viele wichtige Aufgaben und Vorteile.
Was manchen Bogenschützen dabei passieren kann, ist etwas zu viel des Guten zu tun.
Rückenspannung! Los, da geht noch was!
Oft wird die „Formel“:
mehr Rückenspannung = mehr Auszug = mehr Zugkraft = höhere Pfeilgeschwindigkeit = mehr Weite = flachere Flugbahn ….. verwendet.
Verkehrt ist diese Rechnung nicht, aber rechnet sich das wirklich?
Manche Bogenschützen verbeißen sich richtig in das Thema und Folgendes kann passieren:
- Verkopftes Schießen
- Überziehen
- Innere Anspannung
- Schnellere Ermüdung
„Gechillte Konstanz“
Dies ist die Art wie ich schieße. Das heißt jetzt nicht, dass ich mir im Vorfeld erstmal einen Joint durchziehe oder Zielwasser trinke. Es bedeutet auch nicht, dass Rückenspannung nicht wichtig ist. Folgende Frage sollte man sich im Vorfeld erst einmal stellen.
Was ist das Wichtigste für eine gute Schusstechnik?
Meiner Meinung nach ist es eindeutig die Wiederholbarkeit. Ein perfekter intuitiver/instinktiver Schütze würde alles zu Konstanten machen und hätte dann eigentlich nur noch mit einer Variable zu tun, der Entfernung. Natürlich ist es nicht ganz so einfach und sehr reduziert dargestellt, aber es steckt schon ein Funke Wahrheit drin.
Welche Variablen kann man so gut es geht zu Konstanten machen?
- Material / Ausrüstung
– Bogen
– Pfeile (bei Holzpfeilen natürlich schwieriger)
– Handschuh, Tab, etc. - Stand / Ausrichtung
Natürlich muss dies beim 3D Bogenschießen dem Gelände angepasst werden, aber ausrichten kann man sich auf jeden Fall. - Links/Rechts Abweichung
- Auszuglänge
- Lösen
- Nachhalten
Lässt man jetzt Wetter- und Geländeeinflüsse und körperliche Befindlichkeiten außen vor bleibt beim 3D Bogenschießen die Entfernung als Variable übrig, natürlich wirklich sehr vereinfacht dargestellt.
Was ist jetzt die gechillte Konstanz?
Damit meine ich eine entspannte Herangehensweise. Natürlich ist das Thema Spannung allgegenwertig. Auf der einen Seite benötigt man Körper-, Rückenspannung und allgemein einen guten Haltungstonus. Auf der anderen Seite darf man als Bogenschütze aber innerlich nicht angespannt sein. Anders als z.B. ein 100 Meter Läufer, Boxer, etc., welcher sich eher im Vorfeld hochpuscht um in eine „Angriffshaltung“ zu kommen, ist dies Gift für uns. Wir sollten entspannt in einen Schuss gehen.
Meine Meinung
Meiner Meinung ist es wichtiger einen wiederholbaren Schußablauf hinzubekommen, bei dem man sich wohl fühlt, anstatt verbissen eine optimale Technik durchzuführen.
Ich selbst schieße aus der Rückenspannung heraus, weiß aber auch, dass ich bestimmt noch 1 oder sogar 1,5 Zoll mehr Auszug erreichen könnte. Was aber hat das für Auswirkungen für meinen Schuss? Kommen wir jetzt mal zum Vergleich.
Grenzerfahrung vs gechillte Konstanz
Verkopftes Schießen
„Wenn ich mehr in die Rückenspannung komme, dann …“
… und schon ist man mit den Gedanken woanders. Zwar erreicht man dadurch mehr Pfeilgeschwindigkeit und vereinfacht mehr Weite, aber bringt das so viel? Als instinktiver Schütze stellt man sich auf seinen Bogen ein und somit ist dies alles schon wieder relativiert.
Gechillte Konstanz: Den Ballast immer in maximale Rückenspannung zu kommen, habe ich abgeworfen. Ich verschwende daran keinen Gedanken.
Innere Anspannung
Verkopftes Schießen führt unweigerlich zu einer inneren Anspannung. „Habe ich jetzt wirklich meine Rückenspannung erreicht, war sie optimal?“ „Warum flog der Pfeil nicht weiter, hat meine Rückenspannung doch nicht gepasst?“ usw. … Somit kommt man in eine Stresssituation.
Gechillte Konstanz: Ich probiere das zu vermeiden. Ich muss nicht das Maximum herausholen und kann die Sache entspannter angehen.
Überziehen
Manche Bogenschützen schießen dann noch über das Ziel hinaus und gehen sogar über die optimale Rückenspannung. Dies führt wiederum zu Problemen beim stabilisieren und lösen und verändert den ganzen Schußablauf negativ. Sowas geht also kräftig nach hinten los, wortwörtlich!
Gechillte Konstanz: Keine maximale Rückenspannung = keine Gefahr des Überziehens
Schnelleres Ermüden
Ganz einfach, gehe ich immer an meine Maximalleistung komme ich irgendwann an meine körperlichen und kognitiven Grenzen.
Gechillte Konstanz: Ich gehe das Ganze entspannter an und habe auch am Ende des 3D Parcours oder Turniers dadurch noch Reserven übrig. Was ist also besser?
Resümee
Ich habe mich dafür entschieden entspannter an das Thema Rückenspannung heranzugehen. Für mich überwiegen eindeutig die dadurch entstandenen Vorteile. Es bedeutet aber nicht, dass ich nicht aus der Rückenspannung heraus schieße, sondern, dass ich nicht ans Limit gehe. Bei der Überprüfung mittels eines Chronographen gehen meine Pfeile doch ziemlich konstant auf den Flug und somit passt es für mich. Es fühlt sich gut an, ich bin entspannter und habe dadurch eine deutlich höhere Wiederholbarkeit meines Schußablaufs.
Warum sollte man seine(n) „Behaglichkeitsbereich / Komfortzone“ verlassen, wenn dies gar nicht nötig ist?
Wie ist es bei Dir, wie gehst Du damit um? Ich bin gespannt auf deine Meinung. Aber natürlich gechillt gespannt.
Bildquelle Titelbild: Erika Strackenbrock / Pixolio.de
2 Antworten
Hallo Holger!
Da bin ich voll bei Dir. Wenn ich mit Anfängern trainiere müssen sie meist erst verstehen, was Rückspannung heißt und wie es funktioniert. Aber bei mir selbst stelle ich immer wieder fest, besonders bei weiten Schüssen, dass ich übertrieben in die Rückenspannung gehe… Ergebnis ist meist ein weniger guter Treffer. Ziel ist: Die richtige Technik kennen und trainieren. Im besten Fall den Schussablauf aufteilen. Beim Schießen dann: Kopf aus und instinktiv Boegnschießen…
Alle ins Kill!
Thomas
Lieber Holger,
Du sprichst mir aus der Seele :))! Bin intuitiver Langbogen / Take-Down-Recurver. Bei mir ist so: Ich sehe zu, dass ich meinen Mittelfinger immer schön im Mundwinkel platziere und zur Sicherheit 1-2 hin und her bewege. Dann warte ich ein paar Sekunden und löse. Bis 30m erziele ich immer gute Ergebnisse ( egal ob Scheibe oder 3D ). Größere Distanzen muss ich noch üben. Ich kontrolliere „nie“ , ob ich in der Rückenspannung bin! Manchmal merke ich dass, in den meisten Fällen jedoch nicht. Bin auch eher der Chill-Typ und will meinen Spaß durch übertriebenes Kontrollieren nicht verlieren. Ausserdem ganz wichtig meiner Meinung: Den Rückenmuskel mit gezieltem Training aufbauen. Dann kommt die Rückenspannung ganz allein.